Montag, 4. Oktober 2010

Sport, Stress, Fett und Führerschein

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Kürzlich habe ich ein Gutachten für einen jungen Mann erstellt, dem wegen mangelnder Fahreignung der Führerschein entzogen worden war, obwohl er völlig nüchtern am Straßenverkehr teilgenommen hatte. Zwei Tage bevor er von der Polizei angehalten worden war, habe er zuletzt zwei Cannabiszigaretten geraucht. Er war sehr verwundert darüber, dass etwa 40 Stunden später in seinem Blutserum THC in einer Konzentration von immer noch 2,1 ng/ml (2 Nanogramm pro Milliliter) nachweisbar war.
Er habe das Internet nach einer möglichen Erklärung durchsucht und sei dabei auf eine Untersuchung gestoßen, nach der sportliche Aktivität bzw. der Abbau von Fett das im Fettgewebe abgelagerte THC freigeben und so noch lange nach dem letzten Konsum zu einem erneuten Anstieg der THC-Konzentration im Blut führen könne. Tatsächlich konnte ich diese Auffassung in meinem Gutachten bestätigen.
Im konkreten Fall fuhr der Betroffene auf einem Roller zum Training, als er von einem Kleintransporter aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, als dieser versuchte, die gemeinsam befahrene Spur nur für sich zu beanspruchen. Die einzige Möglichkeit, diese brenzlige Situation heil zu überstehen, bestand in einer sofortigen Beschleunigung. Das führte dazu, dass er nicht mehr rechtzeitig vor einer roten Ampel halten konnte. Dann wurde er von der Polizei angehalten, die offenbar nur gesehen hatte, dass er die rote Ampel überfahren hatte. Er wurde zur Entnahme einer Blutprobe zur Untersuchung auf Drogenkonsum auf die Polizeiwache mitgenommen. Dort dauerte es etwa 20 Minuten bis zum Eintreffen des Arztes. In dieser Zeit machte er Kraftsport-Übungen (Liegestütze, etc.), um seinen Ärger über die gesamte Situation besser zu bewältigen.
Der Arzt hat dann eine Blutprobe entnommen und einige Tests durchgeführt. Er musste die Fingerspitzen bei geschlossenen Augen zusammenführen, auf einer Linie gehen und bei geschlossenen Augen einen Zeitraum von 30 Sekunden abschätzen. Der Arzt stellte fest, dass er topfit war und die 30 Sekunden genau geschätzt hatte. Dann erhielt er seine Fahrzeugschlüssel, seinen Führerschein und das Einverständnis zur Weiterfahrt. Die Untersuchung des Blutes in einem Institut für Rechtsmedizin ergab eine Konzentration von 2,1 ng/ml THC und 7,6 ng/ml THC-COOH (THC-Carbonsäure). Daraufhin wurde ihm von der Führerscheinstelle der Führerschein entzogen, da wegen des Nachweises des Konsums von THC und der nachgewiesenen Teilnahme am Straßenverkehr „die Nichteignung gegeben“ sei, da „das erforderliche Trennungsvermögen“ nicht gewährleistet sei. Der Arztbericht zur Untersuchung war übrigens bei der Polizei verloren gegangen und nicht mehr auffindbar.
Nach einer tierexperimentellen Untersuchung an der Universität von Sydney aus dem Jahr 2009 kann Stress und akute Gewichtsabnahme zu einem positiven Test auf THC lange nach dem letzten Konsum führen. Die Studie wurde durch anekdotische Berichte inspiriert, nach denen die THC-Konzentrationen im Blut bei Menschen zunahmen, die in der jüngeren Zeit keinen Cannabis konsumiert, jedoch starken Stress oder einen schnellen Gewichtsverlust erlebt hatten.
Die Autoren zitieren das Beispiel eines Athleten, der geschworen hatte, seit Monaten keinen Cannabis geraucht zu haben, jedoch unmittelbar vor einem positiven Drogentest schnell 4 Kilogramm an Gewicht verloren zu haben.
In der Untersuchung erhielten Ratten mehrere Tage lang THC. Die Gabe eines Stresshormons als auch ein 24-stündiger Nahrungsentzug erhöhten die Blut-Konzentration von THC. Die Autoren der Studie folgerten, dass ein Abbau von Fett die Freisetzung von THC aus den Fettreserven zurück ins Blut verstärkt. Schon wenige Minuten nach Beginn des Rauchens einer Cannabiszigarette beträgt die THC-Konzentration im Blutserum etwa 75 bis 250 ng/ml. Sie sinkt innerhalb von zwei bis drei Stunden auf wenige Nanogramm pro Milliliter ab. Diese schnelle Abnahme der THC-Konzentration im Blut beruht vor allem auf einer Umverteilung von THC aus dem Blut in fettreiche Gewebe. Dies liegt an der schlechten Wasserlösilichkeit und der guten Löslichkeit in Fett bzw. Öl. Aus dem Fettgewebe wird THC nur langsam wieder ins Blut abgegeben, sodass ein THC-Konsum noch mehrere Tage oder sogar mehrere Wochen nach dem letzten Konsum nachweisbar ist. Stress oder der Abbau von Fett können offenbar die Freisetzung von THC aus dem Fettgewebe beschleunigen. Im oben dargestellten Fall spricht auch die sehr niedrige Konzentration der THC-Carbonsäure dafür, dass es zu einer akuten Mobilisierung von THC aus dem Fettgewebe durch die sportlichen Übungen gekommen war. Denn normalerweise würde man bei einer Konzentration der THC-COOH von nur 7,6 ng/ml eine THC-Konzentration von unter 1 ng/ml erwarten. Ein Wert von 1 ng/ml ist die Grenze, die allgemein toleriert wird.
Fazit: Wer einen Bluttest auf THC vor sich hat, sollte entgegen mancher Empfehlung nicht viel Sport treiben, sondern hinsichtlich sportlicher Aktivitäten besser zurückhaltend sein. Er sollte lieber einen Beruhigungstee trinken und sich entspannen, um das Ergebnis nicht zu den eigenen Ungunsten zu verfälschen.

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