Mittwoch, 2. März 2011

Geheimsache Drogenpolitik

Drogen- und Suchtrat tagt nicht mehr öffentlich

„Die Strafe für den Gebrauch einer Droge sollte nicht schädlicher sein als die Droge selbst.“
das sagte der Friedensnobelpreisträger und ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter 1977.
Zugegeben, damals noch so blauäugig, dass er ernsthaft dachte, die Legalisierung von Cannabis mal kurz per Bundesgesetz realisieren zu können. Auch er hatte nicht mit der unheiligen Allianz von Pharmakonzernen, Alkoholindustrie, Rohstoffproduzenten und anderen mächtigen Lobbyverbänden gerechnet, die im Hintergrund alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten und noch immer setzen, wenn es darum geht, der stigmatisierten Heil- und Nutzpflanze ihren illegalen Status abzuerkennen, sei es auch nur ansatzweise. Als er erkannte, was er da losträte, hat er den Entwurf einfach zurückgenommen und dem Thema seitdem in der Öffentlichkeit den Rücken gekehrt.

Die Anliegen der 68er Generation haben seitdem viel bewirkt: Schwule und Lesben haben in den meisten westlichen Ländern eine Menge erreicht, das Frauenbild und deren Stellung in der Gesellschaft haben sich gewandelt, auch Kinder zu schlagen gehört sich nicht mehr, über Sexualität kann offen geredet werden, kurz gesagt: „Der lange Marsch durch die Institutionen“, den sich viele Ex-Revolutionäre vorgenommen hatten, hat ganz gut funktioniert, mit einer Ausnahme: Die Drogenpolitik und hierbei insbesondere die Stellung der illegalisierten Hanfpflanze, entspricht so ganz und gar nicht dem 68er-Zeitgeist, im Gegenteil: Der „Krieg gegen die Drogen“ tobt weltweit, trotzdem ist die Zahl der Drogentoten auch in Deutschland auf hohen Niveau konstant, einige Länder des ehemaligen Ostblocks wie Russland oder Kasachstan zeigen sich ob des relativ neuen Phänomens und der unglaublich hohen Zahl an Usern komplett überfordert. Menschenrechte werden im Namen des „Drogenkrieges“ massiv missbraucht (siehe Hanf Journal #127). Es ist ein offenes Geheimnis, dass nicht nur Mafia & Co, sondern sowohl in den Erzeuger- als auch in den Abnehmerländern Banken, staatliche Organe und Behörden beteiligt sind (siehe News-Seite 25). In Mexiko, wo Regierung, unterstützt von den USA, einen von der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkten Krieg führt, starben 2010 mit über 15.000 Toten mehr Menschen als bei den Konflikten im Irak und Afghanistan zusammen. Der einzig positive Effekt der Abschlachtorgie in Mexiko ist die zunehmend kritische Haltung der US-Öffentlichkeit.
Anders als uns Europäer betrifft dieser Konflikt die US-Bürger mehr oder weniger direkt, sie fangen an, Zusammenhänge zu durchschauen, neu zu bewerten und eine Kehrtwende einzufordern. Drogenpolitik ist Topthema, Medien- und Politikvertreter nehmen oft kein Blatt mehr vor den Mund. Das Hanfverbot wackelt in einigen Staaten immer heftiger, die medizinische Anwendung von natürlichem Cannabis ist mittlerweile in vielen US-Bundesstaaten gesetzlich verankert, künstliche Cannabinoide sind dort vielmehr eine zusätzliche Alternative.

Und hier? In Deutschland weigert sich das Bundesgesundheitsministerium seit Jahren beharrlich, selbst schwerkranken Menschen den Zugang zu bezahlbarer Cannabis-Medizin zu gewähren, erst im Januar hat sich die zuständige Bundesopiumstelle deshalb die nächste Niederlage vor Gericht eingehandelt. Währenddessen entwickelt die Pharmaindustrie im Hintergrund kaum bezahlbare Medikamente, die nicht besser, oft sogar schlechter die jeweiligen Symptome lindern als die Pflanze in natürlicher Form.

Der Krieg gegen Drogen ruiniert auch hierzulande mehr Existenzen als jede Droge an sich, allein schon die Diskriminierung beim Führerscheinrecht kostet Monat für Monat unzählige verantwortungsbewußte Menschen ihre Fahrerlaubnis. Zudem alles, was damit zusammenhängt, obwohl sie nie unter dem Einfluss von Drogen gefahren sind. Auch die zunehmende Anzahl von Cannabis-Selbstversorgern, die sich als „Betreiber professioneller Hanfaufzuchtanlagen“ im Gerichtssaal wiederfinden, weil sie den Mechanismen des Schwarzmarkts entfliehen wollten, spiegelt die Realitätsferne der derzeitigen Gesetzgebung wider.
Drogenpolitische Inhalte werden kaum öffentlich diskutiert, da, anders als in den meisten Bereichen, wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse von Politik und vielen Medien ausgeblendet werden. Die meisten Forschungsergebnisse passen eben nicht zu dem, was propagiert wird.

Diese Entwicklung gipfelt darin, dass der Drogen- und Suchtrat seit 2010 nicht mehr öffentlicht tagt und auch die Sitzungsprotokolle nicht mehr einsehbar sind. Früher waren sowohl die Zusammensetzung als auch die Sitzungen transparent und der Öffentlichkeit zugänglich. Die lapidare Mitteilung, mit der die Drogenbeauftragte erst auf zweimalige Nachfrage eines Bürgers herausrückte, lautet:
„Die Namen der Vertreter der jeweiligen Organisationen werden nicht veröffentlicht. Die Sitzungen sind nach der Geschäftsordnung des Drogen- und Suchtrats nicht öffentlich, daher werden auch die Sitzungsprotokolle nicht veröffentlicht.“

Ein seit Bestehen dieses Gremiums einmaliger Vorgang. Da hat sich unsere Drogenbeauftragte anscheinend an den Briten orientiert, die vor nicht allzu langer Zeit fast ihren gesamten wissenschaftlichen Beraterstab „umbesetzt“ haben, weil der ein grundlegendes Umdenken in der Drogenpolitik forderte. In Großbritannien gab es hierzu wenigstens einen medialen Aufschrei, hier herrscht bislang Schweigen.

Von der Politik ist wenig zu erwarten: Bündnis90/Die Grünen und Die Linke werden in naher Zukunft nicht ohne die SPD regieren. Die aber wird ihre drogenpolitsiche Wende erst dann vollziehen, wenn es genügend Stimmen bringt. Das wird nur passieren, sobald ausreichend Impulse von einer besorgten Zivilgesellschaft ausgehen, die sich der Tragweite des Problems langsam aber sicher bewusst wird. So wie jetzt in den USA, die uns auch hinsichtlich dieser Entwicklung wieder ein paar Jahre voraus sind.

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