Freitag, 4. März 2011

Sadhus, Sufis und Psychonauten

Teil 1

Am 29. Januar 2011 fand die 28. Lange Nacht der Museen in Berlin statt und das Hanf Museum war wie seit Jahren schon immer mit dabei. Thema der Langen Nacht war in dieser Januarnacht „Körper trifft Seele“ und das Hanfmuseum gestaltete hierfür die Sonderausstellung „Sadhus, Sufis und Psychonauten – Geschichten und Geschichte des Mystizismus“. Im Rahmen dieser Ausstellung beantwortete Steffen Geyer die Fragen der über 1.100 Besucher, die in jener Nacht ins Hanf Museum strömten, zum Thema während Hans Cousto im Cafe des Hanf Museums dreimal an diesem Abend einen Vortrag hielt mit anschließender Fragestunde. Ein Resümee der Vorträge hat Hans Cousto für das Hanfjournal zusammengestellt.
Das Thema der Langen Nacht der Museen lautete „Körper trifft Seele“. Diese Formulierung hat etwas Provokatives an sich, da der Mensch ein Individuum (lateinisch für das Ungeteilte) ist. Treffen können sich jedoch nur verschiedene Wesenheiten oder Dinge. Das, was zum Ungeteilten gehört, kann sich hingegen nicht treffen, da es schon eins ist.
Dem menschlichen Wesen werden oft drei Aspekte zugeordnet: Körper, Geist und Seele. Alle drei Aspekte wohnen dem Individuum inne und können alleine für sich nicht existieren – sie sind eins im Individuum. Dabei ist jedes Individuum universell, da es Teil des Universums ist. Universum bedeutet wörtlich „die Kehrseite des All‘Einen“. Das Wort Universum ist eine Bildung aus den lateinischen Begriffen unus „einer, ein einziger“ und versus „das Umgewendete, die Kehrseite“ respektive vertere „kehren, wenden, drehen“. Mit dem Motto „Körper trifft Seele“ wollten die Organisatoren den Langen Nacht der Museen vermutlich allegorisch darauf hinweisen, dass beim Betrachten von Kunstwerken das All‘Eine in einem zum Bewusstsein gelangt.

All-Ein-Sein heißt eins sein mit dem All
All-Ein-Sein heißt eins sein mit dem All. Die Schwingungen des Alls wahrzunehmen und sich auf diese Schwingungen einzustimmen heißt, sein Leben – oder einfach sich selbst – mit dem All in Einklang zu bringen. Ist die Person (von lat. per-sonare = zum Erklingen bringen, hindurchtönen) im Einklang mit dem Kosmos, resoniert der Kosmos in ihr, der Kosmos findet seinen Widerhall in der Person. Wird man sich dessen bewusst, hat das Bewusstsein kosmische respektive universelle Dimensionen erreicht.
Genau diese Art des Gewahrwerdens des All-Ein-Seins ist Weg und Ziel von Sadhus, Sufis und Psychonauten. So verschieden die Wege einzelner Sadhus, Sufis oder Psychonauten auch sein mögen, Ziel ist immer das Erleben der kosmischen respektive der universellen Dimension des eigenen Bewusstseins. Dieses Erleben ist mit das Schönste, das ein Mensch erleben kann, es lässt einen wunderbare Glücksgefühle erleben, ja geradezu ein Optimum an Lebensgenuss.

Sadhus
Der begriff Sadhu hat sein Ursprung in einer der ältesten Sprachen der Welt, dem Sanskrit. Im Sanskrit bedeutet sādhu „guter Mann“ und sādhvī „gute Frau“. Als Sadhus bezeichnet man Menschen, die abseits der alltäglichen Geschäftigkeit als Eremiten oder im Umfeld von Tempeln als Mönche sich ganz ihrer spirituellen Entfaltung widmen. Die spirituelle Paxis der Sadhus nennt man im Sanskrit sādhana. Ein Sadhu, der das weltliche Leben völlig aufgegeben hat, asketisch lebt und sich in der vierten und damit letzten Phase des vedischen Ashrama-Systems befindet, ist ein Sannyasin, ein „Entsagender“. Die Tugend der Sadhus ist es, sich von allen weltlichen Dingen zu lösen und sich heimatlos, von milden Gaben ernährend und sich dabei der Suche nach Erlösung zu widmen.
In der kultischen Richtung der Shivaisten gibt es viele Sadhus. Shiva, der Glückverheißende, ist einer der wichtigsten Götter des Hinduismus. Im Shivaismus gilt er den Gläubigen als die wichtigste Manifestation des Höchsten. Er gilt als Schöpfer und Zerstörer aller Welten. Häufig wird Shiva als Nataraja, „König des Tanzes“ im kosmischen Tanz dargestellt. Im Tanz zerstört Shiva die Unwissenheit und das Universum und erschafft es wieder neu. Hier drücken meist vier oder acht, gelegentlich auch mehr Arme seine kosmischen Tätigkeiten aus. Eine Hand deutet die Schutz gewährende Mudra (Handstellung) an, die andere die Gnade gewährende, während seine anderen beiden Hände die kleine Trommel und ein Feuer tragen. Andere Darstellungen zeigen Shiva oft mit einem Dreizack und einer Trommel. Tanz und Rhythmus sind zwei urschamanische Eigenschaften, die von Shiva verkörpert werden.
Viele Sadhus, die Shiva verehren, rauchen Haschisch zum Zwecke der Meditation. Das Rauchen von Haschisch hat eine religiöse Bedeutung. Deshalb rauchen die meisten Sadhus nur Charas, das heißt von Hand gemachtes Haschisch bester Qualität. Und in der Tat wird das beste Haschisch, das man in Indien rauchen kann, von Sadhus im Bezirk Kullu in der Region Himachal Pradesh produziert. In der Umgebung von Manali, einer kleinen Stadt in dieser Hochgebirgsregion, die südlich von Kashmir liegt, wird Haschisch respektive Charas von der allerbesten Qualität hergestellt. Berühmt ist auch Charas aus dem etwa 3000 Meter hoch gelegenen Dorf Malana, das südlich von Manali liegt. Dieses Charas, das wohl zu den edelsten Sorten zählt, ist auch unter dem Namen „Malana Cream“ bekannt.
Sadhus rauchen Charas meistens im Shillum. Ein Shillum (häufig auch Chillum genannt) ist ein konisches, etwa 10-20 cm langes, Holz-, Ton- oder Steinrohr mit einer ebenfalls konischen Bohrung, die am dünnsten Ende etwa 5 mm misst. In diesem Rohr befindet sich ein speziell bearbeiteter Stein, auf dem das Charas respektive die Rauchmischung aufgefüllt wird. Ursprünglich kommt das Shillum vom indischen Subkontinent und dem Himalaya. Es dient dort seit Jahrhunderten zum rituellen Rauchen von Haschisch. Die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Jamaika entstandene Religion der Rastafari verwendet das Shillum ebenfalls zum rituellen Haschischkonsum.
Beim Anzünden des Shillums rufen Sadhus oft sehr laut die Worte „Bum Shiva“ oder „Bum Shankar“. Shankar ist einer der vielen Namen Shivas und heißt „der Segnende“ oder „der den Segen Gebende“. Dies sind nicht irgendwelche Sprüche, sondern religiöse Anrufungen. Nach dem Anrauchen hält der Sadhu das Shillum mit beiden Händen haltend vor seine Stirn, hält ein Moment inne und gibt es dann erst dem nächsten zum Rauchen. Das gemeinsame Rauchen eines Shillums ist eine echte religiöse respektive kultische Handlung. Die Glut im Shillum wird auch „heilige Glut“ genannt.
Charas aus Nordindien enthält eine hohe Konzentration an psychotrop wirkenden Substanzen. Mit dem Rauchen von Charas verändert sich die Wahrnehmung und die Empfindung, insbesondere das Empfinden des All‘Ein‘Seins wird in signifikanter Weise verstärkt. Dies gilt natürlich nur, wenn Set (individuelle Befindlichkeit und Erwartungshaltung) und Setting (anwesende Personen und das Umfeld) passend sind. Sind Set und Setting stimmig, wie das meistens bei den Sadhus der Fall ist, dann kann man durch das gemeinsame rituelle Rauchen von Charas den kosmischen Tanz in sich selbst wie in der einen umgebenden Welt erkennen und erleben – Shiva, Shankar oder auch Nataraja erwachen in einem selbst zu neuem Leben.

Derwische und Sufis
Die Bezeichnung Derwisch kommt aus dem persischen Wort Darvish, das normalerweise einen asketischen Mönch bezeichnet. Die ursprüngliche persische Übersetzung für Derwisch ist „Bettler“. Dabei ist es aber nicht unbedingt wörtlich zu verstehen, dass jeder Derwisch ein Bettler ist; sondern dieser Begriff dient auch als Symbol dafür, dass derjenige, der sich auf dem Weg des Sufismus befindet, seine eigene „Armut gegenüber Gottes Reichtum“ erkennt.
Der Begriff Derwisch selbst leitet sich her vom persischen Wort dar „Tor“, „Tür“, ein Sinnbild dafür, dass der Bettler von Tür(schwelle) zu Tür(schwelle) wandert. In der sufischen Symbolik bedeutet dies auch die Schwelle zwischen dem Erkennen der diesseitigen irdischen respektive materiellen und der jenseitigen göttlichen Welt.
Der Begriff Sufi stammt vermutlich von arabisch suf „Schurwolle“ ab. Sufis waren einst als Wollkleidträger bekannt. Heute bezeichnet man diverse orientalische islamische Ordensrichtungen mit den Namen Derwische und Sufis. Der Sufismus wird manchmal mit dem Gnostizismus in Verbindung gebracht, wobei die Sufis eigentlich unabhängig von einer Religionszugehörigkeit sind und diese Bewegung schon weitaus älter ist als der geschichtliche Islam. Die ersten Sufis soll es nach muslimischer Überlieferung schon vor und zu Lebzeiten des Propheten Mohammed im 7. Jahrhundert gegeben haben. Die Sufis selbst betonen jedoch, dass sich der Sufismus zu seiner vollen Blüte erst ab dem Auftreten des Propheten Mohammed entwickelt habe, und dass der Islam die geeignetsten metaphysischen Instrumente für die geistige und seelische Entwicklung des Menschen bereithalte.
Ergänzend zur Wortherkunft sei erwähnt, dass der Begriff Sufismus nicht von Anhängern dieser Lehre eingeführt wurde. Vielmehr wurde er von Personen außerhalb dieser mystischen Strömung geprägt. Ein Sufi bezeichnet sich selbst in der Regel nicht als solcher, vielmehr verwendet er Bezeichnungen wie „Suchender“, „Schüler“ oder „Reisender“.
Der Weg der Sufis folgt vier Stufen, deren Ausprägung auf den indischen Raum verweist. Bis heute ist jedoch offen, wie und in welche Richtung diese Beeinflussung historisch verlief:
Auslöschen der sinnlichen Wahrnehmung.
Aufgabe des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften.
Sterben des Ego.
Auflösung in das göttliche Prinzip.
Sufismus bedeutet, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu werden.

Bild: Tanzende Derwische (Tomas Maltby, Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 US-amerikanisch lizenziert)
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