Mittwoch, 29. Juni 2011

Das BtMG und die Menschenrechte

Der Genuss psychotroper Substanzen beeinträchtigt die Rechtsgüter anderer Menschen nicht und kann aus ethischer Sicht somit auch nicht strafbewehrt sein, denn jeder muss in seiner Art genießen können und niemand darf, solange der Genuss nicht auf Kosten oder zu Lasten anderer erfolgt, ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören. Dies ist ein Grundprinzip der Menschen- und Bürgerrechte. Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss eben dieser Rechte sichern. Deshalb darf die gesetzgebende Gewalt keine Gesetze erlassen, welche die Ausübung der natürlichen und bürgerlichen Rechte beeinträchtigen oder hindern. Gesetze dienen der Rechtssicherheit im sozialen Kontext und müssen deshalb zweckmäßig sein für das Gemeinwohl. Zudem muss das Recht der Gerechtigkeit dienen. Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verstößt in gravierender Weise gegen diese Grundprinzipien.
Steht ein Gesetz in unerträglichem Maße im Widerspruch zur Gerechtigkeit oder wird bei der Setzung des Rechts (Einführung des Gesetzes) Gerechtigkeit nicht erstrebt oder gar bewusst verleugnet, dann wird ein solches Gesetz als „unrichtiges Recht“ bezeichnet.
Das BtMG stellt die Vorbereitungshandlungen (Erwerb, Besitz) für den Genuss bestimmter psychotroper Substanzen unter Strafe, jedoch sieht das BtMG für die Vorbereitungshandlungen für den Genuss anderer psychotroper Substanzen keine Strafe vor. Strafwürdig ist nur der Umgang mit in den Anlagen I bis III zu § 1 BtMG aufgeführten Substanzen (Stoffe). Cannabisprodukte sind in den Anlagen aufgeführt und somit ist der Umgang damit strafwürdig. Da jedoch aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse der Umgang mit Cannabisprodukten weniger schädlich ist als beispielsweise der Umgang mit Alkohol, muss die im gesetzten Recht festgelegte Liste der „verbotenen Stoffe“ als willkürlich und somit als nicht gerecht (unerträglich ungerecht) respektive „unrichtiges Recht“ bezeichnet werden. Zudem beeinträchtigen Erwerb, Besitz und Genuss von Cannabisprodukten nicht den Genuss und / oder die Lebensqualität anderer Menschen. Somit verstößt das BtMG gegen die Grundprinzipien der Menschen- und Bürgerrechte. Auch in dieser Hinsicht muss das BtMG als „unrichtiges Recht“ bezeichnet werden.
Der Begriff „unrichtiges Recht“ wurde von dem Rechtsphilosophen Gustav Radbruch (bekannt durch die Radbruchsche Formel) im Jahr 1946 in dem Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ eingeführt. Da die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland sich mehrfach auf diesen Aufsatz bezog, zählt dieser Aufsatz zu den einflussreichsten rechtsphilosophischen Schriften des 20. Jahrhunderts. Darin heißt es:

„Aber Rechtssicherheit ist nicht der einzige und nicht der entscheidende Wert, den das Recht zu verwirklichen hat. Neben die Rechtssicherheit treten vielmehr zwei andere Werte: Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit. In der Rangordnung dieser Werte haben wir die Zweckmäßigkeit des Rechts für das Gemeinwohl an die letzte Stelle zu setzen. Keineswegs ist Recht alles das, „was dem Volke nützt“, sondern dem Volke nützt letzten Endes nur, was Recht ist, was Rechtssicherheit schafft und Gerechtigkeit erstrebt.“
Gustav Radbruch in „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“

Rechtsbewusstsein ist zumeist schon im Kindesalter in sehr differenzierter Form ausgeprägt. Viele Menschen erinnern sich sehr genau, wann sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben ungerecht behandelt fühlten. Und das Zurückdenken an die ersten Erlebnisse, die mit Recht und Unrecht zu tun hatten, wecken oft sehr plastische Erinnerungen hervor. Da wurde man beispielsweise selbst oder jemand anderes in der Schulklasse für etwas bestraft, das die bestrafte Person nicht getan hatte. Da empfinden viele Menschen noch nach Jahren oder Jahrzehnten ein tiefes Gefühl von Ungerechtigkeit, es sei denn, jemand wurde für etwas bestraft, für das man selbst eigentlich hätte bestraft werden müssen. In diesem Fall hat man vielleicht triumphiert, doch selbst dann wusste man ganz genau, dass die Bestrafung eines andern für eine nicht begangene Untat nicht gerecht war.

Auch schon sehr früh lernen Kinder zwischen wahr und unwahr zu unterscheiden. Ein typisches Beispiel soll uns dies vor Augen führen. Mutter, Vater und Kinder sind zu Hause beim gemeinschaftlichen Abendessen an einem Tisch versammelt. Das Telefon klingelt. Die Mutter nimmt den Hörer ab und aus ihren Worten geht hervor, wer die anrufende Person ist und dass diese den Vater zu sprechen wünsche. Der Vater aber macht der Mutter durch Gestik und in zischenden Lauten klar, dass er diese Person nicht sprechen wolle. Die Mutter erklärt nun auf Geheiß des Vaters der anrufenden Person, dass dieser nicht da sei. Egal, wie die Eltern diese Notlüge rechtfertigen mögen, die Kinder wissen ganz genau, dass die Behauptung, der Vater sei nicht da, unwahr ist. Wer die Unwahrheit sagt, ist ein Lügner und gilt als unglaubwürdig, wer die Wahrheit sagt, ist redlich und gilt als vertrauenswürdig. Lügen gilt als Unrecht, auch wenn es kein Gesetz gibt, das Lügen unter Strafe stellt, nur der Meineid, das heißt die mit einem Eid bekräftigte Falschaussage vor Gericht, ist strafbar.

Das subjektive Rechtsempfinden des Einzelnen wird im heutigen Rechtsstaat vor allem geprägt durch die von Tradition und Norm garantierten Rechtsgüter. So weiß jedes Kind genau, welche Spielsachen ihm gehören und welche nicht. Es gibt kaum Kinder, die nicht wissen, dass, wenn sie jemanden etwas „klauen“, dies ein Unrecht ist. Sie passen auf, beim Diebstahl nicht erwischt zu werden und manchmal plagt sie sogar das schlechte Gewissen. „Mein“ und „Dein“ ist eine Rechtsnorm, die Kinder bereits gut verstehen.

Das BtMG beschneidet Lebensgestaltung
Das BtMG ist eine Rechtsnorm, die von vielen in ihrer heutigen Form nicht akzeptiert wird, da das BtMG eine einseitige und willkürliche Beschneidung individueller Lebensgestaltung mit sich bringt. Etwa ein Viertel aller 12-59jährigen in Deutschland lebenden Menschen haben bereits Erfahrungen mit illegalisierten Drogen (etwa 12,5 Millionen Menschen). Hier handelt es sich somit nicht um eine so genannte „kriminelle Minderheit“, sondern um einen relevanten Anteil der Gesamtbevölkerung. Vor diesem Hintergrund ist es wahrlich schwierig, jungen Drogenkonsumenten die Notwendigkeit eines eigenen Rechtsbewusstseins zu vermitteln. Eine Richtungsänderung in der Betäubungsmittelpolitik ist somit nicht nur von Nöten, um der Verelendung von Drogenabhängigen vorzubeugen und die Zahl der Opfer zu mindern, nicht nur um der Beschaffungskriminalität den Nährboden zu entziehen, nicht nur um den Drogenschwarzmarkt auszutrocknen und somit die Einnahmequellen der organisierten Kriminalität abzugraben, nicht nur um Misstrauen in der Gesellschaft und Verrat und Erpressung in Familien vorzubeugen, sondern vor allem auch, um ein vernünftiges und glaubwürdiges Rechtsbewusstsein in der Gesellschaft wieder herzustellen.

Quellen
Hans Schulz- Strafbarkeit von Konsumenten von Betäubungsmitteln?, in: Stefan Bauhofer, Pierre-Henri Bolle, Volker Dittmann
(Hrsg.: Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie): Drogenpolitik – Beharrung oder Wende = Politique de la drogue – continuation ou alternance, Verlag Rüegger, Chur/Zürich 1997, ISBN 3-7253-0575-7
Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: Süddeutsche Juristenzeitung. 1946, S. 105-108.

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