Dienstag, 17. Juli 2012

Die psychonautische Landkarte

Vergleichbar mit einem Astronauten, der sich in die Weiten des Weltraums begibt, reist ein Psychonaut respektive ein Psychonautiker in die Tiefen der eigenen Psyche. Die imaginäre psychonautische Landkarte schließt dabei als Pole eines kaum zu überblickenden inneren Raumes beglückende Bereiche und bedrohliche Abgründe mit ein. Gleichzeitig können psychonautische Reisen einengende kulturelle Strukturen aufbrechen, aber auch verfestigen. Die künstlerische Darstellung entsprechender Erfahrungen entspricht dabei immer wieder einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit.

Das Überschreiten der Grenzen

Zu den vielfältigen Praktiken, welche den Zugang zu den inneren psychonautischen Räumen eröffnen können, gehören unter anderem Meditationen, der trancehafte Tanz, bestimmte extreme körperliche Erfahrungen, eine ekstatische Sexualität und der bewusste Gebrauch psychoaktiver Substanzen. Auf der Basis verschiedener Studien sprechen BewusstseinsforscherInnen wie Erika Bourguignon und Andrew Weil von einem menschlichen Grundbedürfnis nach Transzendenz im Sinne einer Überschreitung der alltäglichen Grenzen des Bewusstseins.
Der Möglichkeit bereichernder oder gar befreiender Erfahrungen steht jedoch ein vielfältiges psychisches Gefahrenpotenzial gegenüber. So können Erfahrungen außergewöhnlicher Zustände zu einer tiefen Verunsicherung führen, da sie potentiell das herkömmliche Weltbild grundlegend in Frage stellen. Daneben bestehen in den Randbereichen der psychonautischen Landkarte als Ausdruck psychischer Probleme oder Erkrankungen vielfältige Bewusstseinsebenen in denen sich einzelne Personen verfangen haben, ohne sich daraus befreien zu können.
Kulturhistorisch betrachtet, kam es nur selten zu einer freien Entfaltung transzendenter Bedürfnisse. Vielmehr lässt sich immer wieder aufzeigen, dass sie gerade in religiösen Zusammenhängen als Mittel der Manipulation missbraucht oder insbesondere in christlich geprägten Kulturkreisen gezielt unterdrückt wurden.

Psychonautische Kunst

Die Außergewöhnlichkeit psychonautischer Erfahrungen erzeugt zumeist das tiefe Bedürfnis, diese einzuordnen und oftmals auch die damit verbundenen Inhalte weiter zu tragen. Die Auseinandersetzung im Rahmen künstlerischer Ausdrucksformen kann eine Möglichkeit der Verarbeitung sein. Die Wiedergabe transzendenter Bewusstseinszustände ist dabei nicht immer als solche sofort zu erkennen, oftmals sind sie stark abstrahiert oder verschlüsselt dargestellt und nur über bestimmte Kodes zu verstehen.
In vielen indigenen Kulturen besteht eine lange Tradition der Wiedergabe transzendenter Bewusstseinszustände, welche oftmals im Gegensatz zur Erfahrung der Realität des Alltags als ein Erleben der eigentlichen Wirklichkeit verstanden werden. Die Prozesse der Aufarbeitung und Einordnung werden dabei vielfach in einen kollektiven Zusammenhang gestellt.
In der westlichen Moderne ist dagegen soziokulturell begründet zumeist ein stark persönlich ausgeprägter Zugang zu außergewöhnlichen Bewusstseinsebenen vorherrschend. Entsprechend groß ist die Zahl der KünstlerInnen, die einen eigenen Zugang in die Randgebiete der psychonautischen Landkarte gefunden haben und sich ebenso individuell damit auseinandersetzen. Zum Teil verweigert sich ihr Werk auf Grund der Eigenständigkeit, oftmals aber auch auf Grund der in vielerlei Hinsicht schweren Zugänglichkeit einer Einordnung in gängige Kategorien. In einigen Fällen stehen vielmehr schon die jeweiligen Namen der KünstlerInnen für eigene Stilrichtungen, sofern es überhaupt einer derartigen Definition bedarf. Bei einer genaueren Betrachtung wird dabei schnell deutlich, dass fernab der Vorgaben bürgerlicher Kunstvorstellungen und den Maßstäben des kommerziellen Kunstmarktes vielfältige eigenständige Ausdrucksformen bestehen.
In der jüngeren Kunstgeschichte lassen sich psychonautische Ansätze der Auseinandersetzung mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen unter anderem im Surrealismus und seiner psychoanalytisch geprägten Auseinandersetzung mit dem Traum erkennen. Die Begriffe der Art Brut und in Teilbereichen auch der Outsider Art beziehen sich dagegen auf die Kunst von Menschen, die einen weitgehend ungefilterten Zugang auf ihr Unbewusstes haben, darunter auch Menschen in psychotischen Extremzuständen. Der Wiener Aktionismus wie auch die Industrial Culture beschäftigten sich mit unterdrückten Energien und damit oftmals mit den Abgründen der menschlichen Existenz, wobei die Übergänge zwischen einer befreienden und einer regressiven Auseinandersetzung fließend waren. Dagegen bildet die Wiedergabe mystisch-transzendenter Erfahrungen den zentralen Bezugspunkt der Visionären Kunst, die dabei jedoch vielfach spirituell verklärt werden. Daneben beschreiben zahlreiche Kunstwerke, die im Umfeld des weiten Feldes der Cybertribe-Culture entstanden sind, veränderte Wahrnehmungs- und Bewusstseinszustände mit zeitgemäßen digitalen graphischen Mitteln.

Psychedelische Räume

Ein Weg in die Welten der psychonautischen Erfahrung kann der Gebrauch psychedelischer Substanzen wie Meskalin, Psilocybin und LSD sein. Von einem befreienden Aufbruch in neue Wirklichkeiten bis zur Flucht in eine Scheinwelt ist es oftmals jedoch nur ein kleiner Schritt. Zum Spektrum entsprechender Erfahrungen gehören eine intensivierte sinnliche Wahrnehmung und ein direkter Zugang zum Unbewussten, sowie Gefühle des Glücks und der Verschmelzung, aber auch tiefe innere Irritationen bis hin zu psychotischen Zuständen. Dabei tragen psychedelische Substanzen im Wesentlichen nichts von außen in eine Person hinein, sondern öffnen nur Türen in bereits bestehende innere Räume.
Die Darstellung von außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen, die durch den Gebrauch psychoaktiver Substanzen eröffnet werden, lassen sich bis zu frühzeitlichen Felszeichnungen zurückverfolgen. So sind beispielsweise im Süden Algeriens Darstellungen erhalten geblieben, die deutlich auf den Gebrauch psychoaktiver Pilzen und eine folgende Bewusstseinsveränderung verweisen.
Von einer psychedelischen Kunst wird insbesondere in Bezug auf die Entwicklungen in den späten sechziger Jahren gesprochen. Der massenhafte Gebrauch psychoaktiver Substanzen in der Alternativkultur spiegelte sich in ihren kreativen Ausdrucksformen. Großformatige Kunstwerke, die inzwischen längst ihren Weg aus dem Underground in die großen Museen gefunden haben, waren genauso von psychedelischen Erfahrungen geprägt, wie die Motive von Schallplatten-Covern. Mixed-Media-KünstlerInnen gestalteten Räume mit entsprechenden Projektionen und Lichteffekten, während eine neue Comic-Generation einen Acid-geprägten Blick auf gesellschaftliche Missstände richtete. Neben vielen anderen spiegelten auch die Beatles als wichtigste Pop-Band der Zeit psychedelische Wirklichkeiten in einigen ihrer Stücke und Filme.
Die Kriminalisierung der meisten Psychedelika konnte nicht verhindern, dass insbesondere LSD bis heute einen starken Einfluss auf künstlerische Ausdrucksformen hat. Die psychedelisch inspirierte Kunst erlebte insbesondere im Zuge der Psychedelic-Trance-Culture ein Revival, wobei es in Verbindung mit neuen digitalen Mitteln zu einer Weiterentwicklung der graphischen Möglichkeiten kam. Eine wachsende Aufmerksamkeit richtet sich inzwischen zudem auf die Blotter Art, die künstlerische Gestaltung der LSD-Papier-Trips.
Die Kriminalisierung bewirkte allerdings auch, dass sich psychedelisch beeinflusste KünstlerInnen nur in Ausnahmefällen zu einem Gebrauch der Substanzen offen bekennen, um nicht eine Stigmatisierung oder strafrechtliche Folgen befürchten zu müssen. Der „War on Drugs“ offenbart dabei einmal mehr seinen Charakter als ein repressives Instrument sozialer und kultureller Kontrolle. Die grundlegenden Vorraussetzungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit psychoaktiven Substanzen bilden dagegen eine mündige, selbstbestimmte Persönlichkeitsstruktur, sowie umfassende sachliche Informationen.

Die Verbindung von Vision und Realität

Keine Erfahrung eines außergewöhnlichen Bewusstseinszustandes vollzieht sich in einem bezugslosen Raum, so persönlich der Vorgang auch sein mag. Die Erfahrung steht zwangsläufig immer in einem engen Zusammenhang mit den umgebenden Bedingungen und damit auch mit den soziokulturellen Vorgaben des entsprechenden Gesellschaftssystems. Deutlich wird dies beispielsweise im Zusammenhang mit dem Verbot des Gebrauchs bestimmter psychoaktiver Substanzen oder dem religiösen Einsatz transzendenter Techniken.
Stigmatisiert werden außergewöhnliche Bewusstseinszustände insbesondere in Kulturen, in denen die ökonomischen Werte von Leistung, Konkurrenz und Profit nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche bestimmen. Eine überzogene Rationalität und das Streben nach ständiger Selbstkontrolle verschließen den Zugang zu einem Zustand der Transzendenz bzw. zu einer sachlichen Auseinandersetzung über Potenziale und Gefahren veränderter Wahrnehmungsebenen.
Die individuelle Motivation für den gezielten Übergang in einen transzendenten Bewusstseinszustand kann sehr unterschiedlich sein. Verbindend ist vielfach die Sehnsucht nach der Erfahrung des inneren Fließens, wie es beispielsweise während eines Trance-Tanzes oder einer sexuellen Verschmelzung empfunden werden kann. Es ist jedoch ein Trugschluss zu glauben, dass es möglich ist, sich diesem inneren konkreten Utopia auf einer rein persönlichen Ebene anzunähern und dabei die gesellschaftliche Realität zu verdrängen. Über die momentane Erfahrung hinausgehend ist ein Freiraum notwendig, der in der Wechselbeziehung zwischen persönlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Veränderung wurzelt. Das konkrete Utopia als ein Ort auf der psychonautischen Landkarte wird erst dann erfahrbar, wenn es gelingt Vision und Realität konsequent miteinander zu verbinden.

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