Mittwoch, 1. August 2012

Rolys Silberscheiben des Monats August 2012

Bassnectar: Vava Voom
amorphous records

Dubstep ist ein musikalisches Phänomen, welches sich aus den Underground Clubs herauskatapultiert hat und nun mit Acts wie Skrillex und James Blake grosse Hallen füllt. Ein Name, der in Europa bisher noch als Insider-Tipp gehandelt wird, ist in den USA schon längst einer der Top-Akteure. Die Rede ist von Lorin Ashton aka Bassnectar. Ich gehe mal schwer davon aus, dass der in San Francisco lebende Künstler seinen Bekanntheitsgrad im Windschatten von Skrillex mit der Veröffentlichung seines (mittlerweile neunten!) Albums „Vava Voom“ noch steigern wird.
Das Album beginnt mit dem Titeltrack, einer mächtigen HipHop-Dubstep-Nummer an der Seite von Lupe Fiasco. In „Empathy“ spielen hochfrequente Synthies verrückt, in „Ugly“ (feat. Amp Live) gibt’s Breakbeat mit Sägezahnbasslines und nach dem düsteren Tischtennisspiel „Ping Pong“ erinnert „What“ (feat. Jansten) teilweise an legendäre Prodigy-Hits der frühen Jahre. Wie wichtig Ashton seine Erdung im Rock ist, zeigt sein „Pennywise Tribute“, in dem er mit Basspunk-Geschrammel der gleichnamigen Band und ihrem Song „Bro Hymn“ huldigt. Neben dem lieblichen „Butterfly“ (feat. Mimi Page) und dem ebenso sphärischen „Nothing Has Been Broken” (feat. Tina Malia) heisst mein Lieblingstrack „Laughter Crescendo“ (2012 Version), der mich an Orbital denken und angenehm relaxen lässt.
Wer ein tiefes Verständnis für elektronische Bassmusik hat, wird diesen Bassnectar geniessen. „Amorph“ und „sich stetig ändernd“, wie Ashton es selbst beschreibt.

www.bassnectar.net

Karin Park: Highwire Poetry
state of the eye

In dem schwedischen 400-Seelen-Dorf Djura in den dunklen Wäldern von Dalarna wurde sie in eine tiefreligiöse Familie geboren und darüber hinaus drei Jahre lang in einer japanischen Missionarsschule unterrichtet. Nachdem sie mit 16 Jahren nach Oslo ging, um dort mit ihrem Debüt-Album „Superworldunknown“ (2003) den Grammy als beste Newcomerin zu gewinnen, hat sie sich nach zwei weiteren Alben inzwischen wieder in ihr Heimatdorf zurückgezogen, um dort in der leer stehenden alten Dorfkirche ihr Zuhause und ihr Studio einzurichten.
Wer den norwegischen Horror-Thriller „Hidden“ (2009) gesehen hat, kennt vielleicht das fesselnde Stück „Out Of The Cage“ aus dem Abspann. Klingt alles recht verstörend, und so steht ihr viertes Album „Highwire Poetry“ dem in nichts nach. Wärme gibt’s hier nicht, denn die Schwedin entwirft ein intensives, oftmals metallisches Soundgerüst aus klassischem Synthie-Pop mit Dubstep- und Industrial-Elementen, der in seiner Dramatik und mit dieser Stimme etwas an eine wilde Mischung aus Fever Ray, The Knife, Lykke Li und Björk zu Zeiten von „Human Behavior“ erinnert. Meine Lieblingssongs sind die beiden synthetischen Hits „Restless“ und „Fryngies“, das dynamische „Tension“, das hungrige „Tiger Dreams“, das epische „Wildchild“ und das beruhigende Outro „Bending Albert’s Law“.
Mit einer starken elektronischen Note und vor allem durch ihre fragile, ausdrucksstarke Stimme macht es Karin Park möglich, dass ihre dunklen Themen als strahlender Pop erscheinen. Sie nennt es „Electro Goth“. Erschreckend gut.

www.karinpark.com
www.stateoftheeyerecordings.com

John Maus: A Collection of Rarities and Previously Unreleased Material
domino records

Wenn er nicht gerade von seinen Serienmordfantasien kündet oder sich auf einer Bühne die Seele aus dem Leib schreit, arbeitet er als Dozent für politische Philosophie an der Universität von Hawaii auf der Insel Manoa. Seine Musik orientiert sich an Sigmund Freud und Jacques Lacan, es gibt historische Assoziationen, Metaphern und psychoanalytische Motive, seine Bühnenperformance ist theatralisch und das Klangbild des an sich selbst leidenden Mannes ist wahrlich düster.
Nach erst drei regulären Alben – „Songs“ (2006), Love Is Real (2007) und „We Must Become the Pitiless Censors of Ourselves“ (2011) – ist die Zeit wohl schon reif für eine kleine Werkschau. Das Cover-Foto stammt übrigens von Wolfgang Tillmans. Mit „A Collection of Rarities & Previously Unreleased Material“ veröffentlicht nun John Maus insgesamt 16 Songs aus den Jahren 1999 bis 2010. Gleich beim ersten Song „North Star“ hat man das Gefühl, mit seinem Ferrari direkt durch eine Folge Miami Vice zu fahren. Zwischenzeitlich blitzen Referenzen zu Depeche Mode, Billy Idol, Mike Oldfield, New Order und anderen Helden der 80er auf, vielleicht gefällt mir das Album deshalb so gut. Doch zwischenzeitlich switcht er mit seinem tiefen Baritongesang förmlich in mittelalterliche Liedtradition zurück, was anfangs etwas verschrecken mag, aber nicht minder faszinierend ist. Mir sind die polyfonen Synthesizer von Songs wie „Bennington“ und „All Aboard“ allerdings etwas vertrauter.
Und so erfreut uns Maus mit depressivem LoFi-Pop aus der amerikanischen Provinz.

www.mausspace.com
www.dominorecordco.com

Jacques Palminger & The Kings Of Dubrock: Fettuccini
staatsakt

Anhaltende Depressionen drängten ihn Ende der achtziger Jahre immer tiefer in die Musikbranche, mit der sich später zerstritt und 1992 verärgert von Berlin nach Hamburg zog. Als Hörspielautor schuf er die WDR Produktion „Einschlafgeschichten für Männer“ und hatte das Glück, am Schauspielhaus Zürich in der Pucher Inszenierung “Heinrich IV“ mitzuspielen. Nun hat Jacques Palminger, neben Heinz Strunk („Fleisch Ist Mein Gemüse“) und Rocko Schamoni das dritte Mitglied hinter dem Kult-Projekt Studio Braun, nach seinem Album „Mondo Cherry“ (2008) wieder eine wahnsinnige Platte mit seiner Formation, den Kings of Dub Rock, eingespielt.
Die Musik des Albums „Fettuccini“ orientiert sich am Sommer, aber man kann sie auch im Winter hören. Inspiriert von King Tubby, Fela Kuti und Adriano Celentano entstand so ein recht albernes Werk mit der Sängerin Rica Blunck und dem Beat-Schmied Viktor Marek, auf dem Jaques Palminger mit kruder Lyrik seinen Worten freien Lauf lässt. Highlights sind das gut gelaunte, ins Album einführende „Dubstop“, das gequält-bedächtige „Calimero“ (ein Vogel aus Palermo), das narrativ-sonnige „Beachbuggy“, das groovig-verzaubernde „MDMA“, und wenn „Uhren befummeln die Zeit“ den grossen Harry Belafonte hochleben lassen, ist wirklich alles zu spät. Fehlen nur noch die gemütliche „Russkerzenparty“ und „Das Gesetz der Stille“.
Der Studio Braun Psychedeliker und sein Trio des Dub-Wahnsinns sind zurück – mit einer unnachahmlichen Mischung aus Dub, Rock und Quatsch-Chanson, die unglaublich viel Spass macht.

www.staatsakt.de

Out Of Many: 50 Years Of Reggae Music
vp records

Sommer kann man das alles hier zwar nicht mehr nennen, aber das allseits beliebte Label VP Records bringt uns mal wieder die volle Packung der sonnigsten Vibes dieser Jahreszeit, die man in diesem Jahr wohl eher Frühherbst nennen könnte. Zum einen gibt’s mit der Compilation „Out Of Many: 50 Years Of Reggae Music” das ultimative 3CD Deluxe-Digipak mit 50 Hits, aufwendigem Booklet & Linernotes. Wie der Name bereits vermuten lässt, werden hier die Jahre von 1962 bis 2012 mit jeweils einem Song repäsentiert. Von Lord Creator, The Skatalites, Augustus Pablo und Dennis Brown bis Barrington Levy, Shabby Ranks, Beres Hammond und Tanya Stephens ist alles dabei, was das Roots-Herz so erfreut. – Ausnahmslos frischen Sound liefert dagegen die Doppel-CD „Reggae Gold 2012“, auf der mir vor allem die neuen Songs von Sean Paul, Popcaan, Konshens, Busy Signal und Melanie Fiona sowie die Classics von Gyptian, Bounty Killer, Mr. Vegas, Tanya Stephens, Queen Ifrica, Lady Saw featuring Beenie Man und T. O. K. sehr gut gefallen. – Für die Freundinnen und Freunde von heissem Soca bringt das Doppel-CD-DVD-Pack „Soca Gold 2012“ mit 18 Party-Krachern jede Menge Spass. Diverse Trinidad & Tobago-Stars mit Unterstützung von der Nachbarinsel machen‘s möglich: Für sonnige Stimmung sorgen hier fröhlich gelaunte Künstler wie Iwer George, Swappi, Ricky Jai feat. Lady Saw, Alison Hinds und Kimba Sorzano.
Die 80minütige DVD präsentiert Impressionen vom Trinidad & Tobago Karneval 2012 sowie Videos & Konzertausschnitte der Interpreten der CD. Sehr schön.

www.vprecords.com
www.grooveattack.com

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