Freitag, 5. Oktober 2012

„Berlin: Immer mehr fahren unter Drogeneinfluss“

Die Märkische Oderzeitung auf der Suche nach spektakulären Headlines

Einer Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa) zufolge gab der Leiter der Berliner Verkehrspolizei, Marcus van Stegen, bekannt, dass sich die aufgedeckten Drogenfahrten im ersten Halbjahr 2012 auf 1.678 summiert haben. Im gesamten Vorjahr konnten im Vergleich dazu 2.329 Drogenfahrten festgestellt werden. Demnach ist beim Jahresendergebnis mit einer deutlichen Steigerung der Fallzahlen zu rechnen. Hierbei betrifft es zum überwiegenden Teil Fahrer, die zuvor Cannabis konsumiert haben.

Van Stegen führt den Anstieg der Aufdeckungsquote in erster Linie auf die bessere Schulung seiner Kollegen zurück. Im Gegensatz zu Alkohol wäre eine Drogeneinnahme eher schwierig zu erkennen da man sie zum Beispiel nicht riechen könne und die äußeren Anzeichen dafür sehr unterschiedlich sein können. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern werden zur Aufdeckung von Drogenfahrten in Berlin ausschließlich Urin-Schnelltests eingesetzt.

„Von der Verlässlichkeit her geht nichts an den Urin-Vortests vorbei.“, so van Stegen gegenüber der dpa. Dass so viele Menschen unter Drogen am Steuer säßen, führt van Stegen, laut der Märkischen Oderzeitung auf eine Selbstüberschätzung und Unterschätzung der Drogen zurück. „Ich glaube nicht, dass jeder Drogenkonsument weiß, wie das, was er nimmt, bei der Verkehrsteilnahme wirkt.“ Insgesamt geht van Stegen aber davon aus, dass die Zahl derer, die unter Drogen fahren würde nicht angestiegen ist. „Wir sind nur in der polizeilichen Erkennung besser geworden.“ Umso wichtiger sei es, dass Bürger aufgeklärt werden. Die Polizei besucht deshalb insbesondere Schulen, um Kinder und Jugendliche über die Folgen von Drogen im Straßenverkehr zu informieren.

Aufklärung ist wichtig…
Solche Meldungen verklären den Bürger aber eher anstatt ihn aufzuklären.
Die Zunahme der aufgedeckten „Drogenfahrten“ ist in erster Linie auf einen intensiveren Einsatz der Unrinschnelltester durch die Berliner Polizei zurückzuführen. Die Hintergründe dafür könnten auch ganz banaler Natur sein.

Dass dabei in erster Linie Cannabiskonsumenten erwischt werden liegt unter anderem an dem eingesetzten Schnelltestverfahren mittels Unrintest, da dieser auch einen schon länger zurückliegenden Konsum aufdeckt. Dies hat dann automatisch eine Blutentnahme zur Folge. Selbst wenn der Konsum schon ein, zwei Tage her ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass dann im Blut der Wirkstoff THC noch nachgewiesen wird. Eine wahrnehmbare Wirkung ist aber nach einigen Stunden völlig abgeklungen.

Aus diesem Grunde ist es für die Polizei natürlich äußerst schwierig, Anzeichen für einen Drogenkonsum festzustellen. Wie kann man auch Anzeichen von Wirkung feststellen, wenn keine mehr vorliegt? Also greift man verstärkt zu den Urintestern. Dies wird dem Konsumenten zum Verhängnis, wenn er in eine Kontrolle gerät, keine Wirkung und dennoch ein Nachweis. Dann läuft das volle Programm: Bußgeld, Punkte, Fahrverbot, Führerscheinentzug, MPU. Die Schnelltester werden von der Polizei in größeren Mengen geordert, müssen aber innerhalb einer gewissen Zeit verbraucht sein. Ein Schelm, wer das mit der Kontrollhäufigkeit in Verbindung bringt. Dass der so sichere Urintest rein gar nichts über die momentane Beeinflussung der/des Fahrzeuglenker/in/s aussagt, scheint nicht zu interessieren.

Über die Folgen für die Betroffenen, die völlige Schieflage der Sanktionsfolgen, die juristischen (Un-)Möglichkeiten und die enorme Ungleichbehandlung gegenüber Alkoholkonsumenten haben wir schon ausführlich berichtet.
Letztendlich muss diese verfehlte Rechtspraxis auf politischer Ebene gelöst werden, indem gerade die verwaltungsrechtliche Praxis (MPU/Entzug der Fahrerlaubnis) über eine Konkretisierung der Ausführungsbestimmungen so gestaltet wird, dass eine Angleichung an die Verfahrensweise bei Alkoholdelikten erfolgt.
Laut Aussage der Bundesregierung fallen sowohl die Auslegung der Fahrerlaubnisverordnung, wie auch der Vollzug des Verwaltungsrechts als solches (Entzugspraxis, sofortiger Vollzug) unter Länderhoheit. Das heißt, jedes Land kann die Auslegung der Fahreignungskriterien für seine Verwaltungsbehörden selber gestalten.

Transparenz schaffen, nur wie?
Nur über die Länderparlamente. Aus der Opposition heraus könnte eine Fraktion das Thema aber mittels „Anfreage“ auf die Tagesordnung bringen. So wäre es mal interessant über eine solche Anfrage:

-das reale Unfallgeschehen zu hinterfragen (Problemanalyse). Wie viele Unfälle wurden im Zeitraum XY durch Alkohol oder „andere berauschende Mittel“ verursacht?

-zu erfahren, wie viele Alkoholfahrten in dem Zeitraum zwischen 0,5 und 1,09 Promille in Berlin BAK festgestellt wurden.

-das selbe für den Bereich Cannabis ab 1ng/ml Blutserum (analytischer Grenzwert).
Beides sind Verstöße gegen § 24a StVG. Auch der Wissensstand hinsichtlich des mit der jeweiligen Substanz verbundenen Unfallrisikos könnte in dem Zuge hinterfragt werden.

-die Gefahrenanalyse abzufragen.
Also, in wie vielen Fällen nach dem ersten Verstoß die Fahreignung durch die Verwaltung unmittelbar ausgeschlossen wurde. Die Ergebnisse in Bezug auf Alkohol und Cannabis müssten dann gegenüber gestellt und miteinander verglichen werden.

-zu wissen, wieso das LaBo bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten die Fahreignung wegen fehlendem Trennungsvermögen schon nach dem ersten Verstoß gegen § 24a StVG ausschließt, und die Karte entzieht, obwohl gem. § 14 Abs. 2 Satz 3 erst nach dem zweiten Verstoß Zweifel an einem ausreichenden Trennungsvermögen bestehen, die die Anordnung einer MPU rechtfertigen.

Für Berlin ist aber kaum zu erwarten, dass der rot-schwarze Senat die derzeitige Verwaltungspraxis mal so eben per Erlass ändert. Dafür ist das Thema zum einen zu klein, und zu sehr mit diffusen Ängsten behaftet. Verboten = Gefahr. Doch in der Hauptstadt gibt es eine neue Partei im Landesparlament, die verstanden hat, dass es sich hier um für so manchen um eine existenzielle Bedrohung handelt.

Piraten entern das Thema
Die Piraten in Berlin haben das Problem ansatzweise verstanden und werden in absehbarer Zeit den Senat mit einer Reihe von Fragen dazu bewegen, mehr Transparenz zu schaffen. Die Linke im Bundestag um Frank Tempel hat schon im Juni die Bundesregierung mit einer umfangreichen Anfrage zu dem Thema befragt, und signalisiert das sie auch auf Bundesebene an dem Thema dran bleibt, auch wenn die verwaltungsrechtliche Praxis nur über die Länderparlamente/Ministerien geändert werden kann.

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