Montag, 8. Dezember 2008

Türkische Runde – ein Reisebericht

Endlich konnte ich vom Hostel in meine neue Wohnung ziehen – nur von Istanbul-Touristen umzingelt zu sein, wenn man für längere Zeit in die Stadt zieht, kann schon sehr nerven. “Wieso guckst du dir denn die Stadt nicht an?” “Den ganzen Tag sitzt du hier im Café und tippst irgendwelche Texte – mach doch mal was, du hast Urlaub!”

Nee, Urlaub habe ich nicht, ich bin hier um was auf die Beine zu stellen, mein Studium voranzubringen und Artikel zu schreiben! Also, halleluja, ab in die neue Wohnung. Und was soll ich sagen: Alles wunderbar, nette Mitbewohner, tolle Nachbarn und noch bessere Vermieter. Schon zur zweiten Nacht luden sie uns zum Barbecue auf‘s Dach ein. Lecker Fleisch, leckere Soßen und als ich dann an der Schischah zog merkte ich auch: Leckere Inhaltsstoffe.
Leider verschwanden meine Vermieter nach zwei Wochen für eine längere Zeit und ich musste feststellen, dass zwar jeder beteuerte, er kiffe regelmäßig, es jedoch sehr schwer war, an etwas heran zu kommen. Kiffen ist gängig in Istanbul – doch man tut es privat und man spricht nicht drüber. Als alter Berliner musste ich mich daran erst einmal gewöhnen. Kein Kiffen auf der Straße oder im Park, schon gar nicht in einer Kneipe, sei sie auch noch so alternativ oder auf einem Festival.

Marktplatz in Istambul

Versorgungswege

Die Versorgungssituation war nicht immer so kompliziert wie derzeit. Noch vor zwei Jahren hat man bestes Gras zu billigen Preisen an jeder Ecke bekommen. Na ok, sagen wir an jeder Ecke in Taksim – dem wohl liberalsten Stadtteil Istanbuls. Doch seit Juli 2007 fährt die türkische Regierung harte militärische Aktionen gegen die kurdischen Widerstandskämpfer/Terroristen (bitte Wort nach politsicher Sichtweise und Standpunkt auswählen) und kontrolliert Kurden, die durch die Türkei reisen, besonders hart. Dies bedeutet nichts anderes als: Die Graszufuhr nach Istanbul ist gestoppt. Schmuggelten PKK Kämpfer bisher Cannabis direkt aus Afghanistan oder Armenien nach Istanbul, so kommt es nun viel mehr aus Syrien. Zwar können Türken ohne Visa für 24 Stunden nach Syrien reisen, dennoch ist die Versorgung schwieriger geworden. Im Osten der Türkei ist viel Militär stationiert, Durchsuchungen sind an der Tagesordnung. Und wenn weniger in die Stadt kommt, wird erstens der Preis höher und die Versuchung, es zu strecken, größer. Diese kapitalistische Formel gilt auch für den Orient. Die Verfolgung der PKK trifft in Istanbul also auch die Kiffer.
Aber auch in Istanbul gilt, was verboten ist, ist noch lange nicht verschwunden – und auch ohne die PKK kommt man im Lande Attatürks an Gras. Tatsächlich habe ich in Erfahrung gebracht, dass es sogar ein kleines Dorf am schwarzen Meer gibt, in dem Marihuana schon lange für traditionelle Riten angebaut wird und die Blätter, von allen, zu jeder Zeit, gekaut werden. Nun gut, vielleicht sollte man den Bewohnern dieses Dorfes effektivere Konsumformen beibringen – innerlich habe ich mich schon dafür bereit erklärt dort Workshops für „besseres Kiffen“ anzubieten. Aber vielleicht sollte ich das auch lassen, denn noch dümpelt dieses Dorf friedlich und verborgen vor sich hin, wenn sie erst „richtig kiffen“ könnte es auffallen, was sie da eigentlich tun und die Bewohner doch noch Stress mit der Polizei bekommen.

Don´t trust the police!

Wobei das so eine Sache ist! Ob sie Probleme bekämen oder nicht, wenn raus kommt das dieses Dorf da seit Jahrhunderten kifft, weiß in der Türkei niemand so genau. Erstens gibt es zwar ein Gesetz das Cannabis verbietet – dieses sagt aber nichts darüber, was passiert, wenn jemand Marihuana besitzt, raucht oder verkauft. Es ist zwar nicht legal, aber jeder Türke versicherte mir bisher, dass Schlimmste am erwischt werden ist, dass das Gras weg ist. Zumindest gilt das für Einheimische. Und das auch nur in der Regel. Denn die Polizei in der Türkei ist nicht vergleichbar mit der in Deutschland (und für die Leser in Österreich und der Schweiz: Mit Eurer auch nicht). Es ist zwar wahr, dass wir Kiffer, nicht gerade das beste Verhältnis zu Polizisten haben – aber die türkische Polizei ist noch mal eine andere Liga: Sie gilt als korrupt, willkürlich, brutal und gesetzlos.

Polizei in Istambul

Deshalb sollten sich vor allem Ausländer lieber nicht mit Cannabis erwischen lassen – Europäer gelten als reich, irgendwas kann man da sicher holen. Und nur so nebenbei: Gerade als ich ankam ist, ein Insasse eines berühmt berüchtigten Folterknastes in Istanbul gestorben! Wobei: Als europäischer Kiffer wird man kaum in eines dieser berüchtigten Folter-Knäste kommen – aber die Behandlung in den normalen Gefängnissen ist sicher nicht nett und man teilt sich ein Zimmer mit 15 bis 20 anderen Insassen, einer Toilette und hin und wieder fließend Wasser.

Doch auch die stärksten Warnungen halten den passionierten Kiffer nicht von seinem Lieblingshobby fern! Selbst zum Dealer gehen ist jedoch nicht unbedingt die beste Idee. Aber wozu hat man türkische Freunde? Natürlich nicht nur, um Kiff zu bekommen, aber die Sagen umwobene türkische Gastfreundlichkeit trifft auch auf die Versorgung mit Marihuana zu, und so ergibt es sich, dass ich immer ein paar Krümel da und ein paar dort abstauben kann. Woher die ihr Gras bekommen? Viele kaufen es tatsächlich einfach auf der Straße, an irgendeiner Ecke in
Talabasie – zwar immer beim selben Typen, aber dennoch kommt einen das zu Beginn etwas komisch vor. Viel besseres Gras bekommt man von den Dealern, die vor den Schulen verkaufen und die beste Qualität erhält man von Polizisten. Letzteres ist wirklich kein Witz, aber man sollte schon Beziehungen und Kontakte haben um dort nach Gras anzufragen. Ich habe bisher nur einen getroffen, der seine Rationen bei einem Polizisten kauft und ich kann bezeugen: das war das Beste, was ich bisher hier geraucht habe. Preislich ist der Spaß, seit dem die PKK bekämpft wird, ziemlich teuer geworden: Für ein Gramm Haschisch kann man schon mal 10 Euro, für ein Gramm Gras sogar 20 Euro zahlen. Kiffen ist in Istanbul eher ein Hobby reicherer Töchter und Söhne – es geht zwar auch billiger, aber das rentiert sich wirklich nicht.

Andere Länder, andere Sitten

Natürlich rauchen die Türken ihr Gras normalerweise nicht in der Schischah, sondern ganz normal in einem Tabakjoint oder in einer kleinen Bong.

Die türkische Runde kannte keiner, was mir unterm Strich auch sehr recht ist, da diese ja hin und wieder ganz nett, auf Dauer aber doch sehr stressig ist. Verwirrend finde ich immer noch, dass sie nur zu Hause kiffen – vor allem wenn sie immer sagen, „dass schlimmste wäre wohl, wenn sie es unseren Eltern erzählen würden.“ Nur so nebenbei: eine Legalisierungsbewegung gibt es hier somit auch nicht – hier gilt der Spruch: „Tu es einfach, wenn du anfängst darüber zu diskutiersen, werden sie anfangen, es härter zu bestrafen.“ Aber so ist das nun mal: Andere Länder, andere Sitten. Hier haben sie wenig zu befürchten und würden trotzdem nie für die Legalisierung auf die Straße gehen – in Deutschland ist schnell mal der Führerschein weg, und dennoch kifft in jedem zweiten Club im Berlin die ganze Crew.

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