Freitag, 2. Oktober 2009

Wenn Cannabinoide giftige Ablagerungen aus Gehirnzellen entfernen

Dr. med. Franjo Grotenhermen
Mitarbeiter des nova Institutes in Hürth bei Köln und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM).

Diesem Artikel möchte ich eine Vorbemerkung voraus schicken, da es in diesem Beitrag um Ergebnisse aus der Grundlagenforschung, d. h. Forschung mit Zellen und Geweben geht. Ich berichte im Allgemeinen nicht über Zellexperimente. Denn häufig lassen sich Ergebnisse aus der Grundlagenforschung nicht auf die Situation am Menschen übertragen, und ich möchte vermeiden, dass Leser voreilige Schüsse ziehen. Auch wenn einige nach der Lektüre voreilig annehmen könnten, dass Cannabis der Alzheimer-Krankheit vorbeugt oder sie heilt, möchte ich diese Ergebnisse vorstellen. Interessant sind sie allemal, und vielleicht entwickelt sich ja tatsächlich in den kommenden Jahren daraus eine Therapie für die Alzheimer-Demenz.

Die wichtigsten Charakteristika der Alzheimer-Demenz stellen Ablagerungen eines bestimmten Eiweißstoffes dar, der eine Entzündung hervor ruft und die Nervenzellen schädigt und so zu den gravierenden Einbußen der geistigen Leistungsfähigkeit bei den betroffenen Personen führt. Dieser Eiweißstoff wird Amyoloid-Beta genannt. Die Alzheimer-Krankheit tritt gehäuft bei älteren Menschen auf, jedoch können auch schon 50-Jährige betroffen sein. Sie macht sich zunächst durch eine zunehmende Vergesslichkeit und reduzierte Konzentrationsfähigkeit bemerkbar und schreitet langsam bis zu einem vollständigen Verlust der Persönlichkeit mit dem Verlust der eigenen Geschichte und der Orientierung in Zeit und Raum fort.

Kürzlich wurden in einer Fachzeitschrift die Ergebnisse einer Forschergruppe von der Universität Madrid in Spanien veröffentlicht, die in Zellexperimenten Möglichkeiten untersucht hatten, die Konzentration von Amyoloid-Beta im Hirngewebe zu reduzieren. Das Hirngewebe stammte von vier Verstorbenen, die an einem Morbus Alzheimer gelitten hatten. Die Proben waren bei Leichenschauen gewonnen und die charakteristischen Amyoloid-Beta-Ablagerungen waren darin nachgewiesen worden.

Das Hirngewebe enthält – wie andere Gewebe auch – Zellen des Immunsystems, des Abwehrsystems des Organismus. Es ist bekannt, dass Zellen des Immunsystems meistens Cannabinoidrezeptoren enthalten, und dass Cannabinoide an diese Rezeptoren binden und die Funktion des Immunsystems beeinflussen können. Die spanischen Forscher untersuchten, ob bestimmte Immunzellen, so genannte Makrophagen (Fresszellen), in der Lage sind, Amyoloid-Beta aus sehr dünnen Schichten des Hirngewebes (0,01 Millimeter Dicke) zu entfernen. Die Fresszellen enthielten auf ihrer Zelloberfläche den Cannabinoidrezeptor vom Typ 2 (CB2-Rezeptor). Als diese dünnen Gehirnsschichten Zellkulturen von Makrophagen ausgesetzt wurden, so geschah zunächst nichts Auffälliges. Die Amyoloid-Beta-Konzentration im Hirngewebe wurde nicht beeinflusst, sodass die Forscher daraus schlossen, dass diese Fresszellen allein keine Fähigkeit aufwiesen, diese krankhaften Amyoloid-Beta-Ablagerungen zu entfernen. Wurden dem Kulturmedium allerdings geringe Konzentrationen eines bestimmten synthetischen Cannabinoids hinzugefügt, so begannen die Makrophagen Amyloid-Beta aus dem Hirngewebe zu entfernen. Bei der optimalen Konzentration des Cannabinoids, das vor allem an den CB2-Rezeptor bindet, wurde eine Reduzierung der Ablagerungen um etwa zwei Drittel erzielt.

Diese Untersuchungen fanden vor dem Hintergrund statt, dass es bisher keine wirksame Therapie der Alzheimer-Erkrankung gibt, die ihren Verlauf relevant beeinflussen könnte. Die Therapie konzentriert sich in fortgeschrittenen Stadien auf die Kontrolle einiger Symptome, wie Unruhe, Erregbarkeit und Appetitlosigkeit. Kürzlich wurde vorgeschlagen, dass man versuchen könnte, eine Therapie zu entwickeln, die die Belastung des Gehirns der Kranken mit Amyloid-Beta reduziert.

Bis vor wenigen Jahren wurde angenommen, dass CB2-Rezeptoren nicht im Gehirn vorkommen, sondern dass dort nur CB1-Rezeptoren, die beispielsweise für den Rausch durch Cannabiskonsum verantwortlich sind, anzutreffen sind. Mehrere Forschergruppen fanden jedoch heraus, dass die Konzentration des CB2-Rezeptors im Gehirn durch Entzündungszustände verändert wird. So werden bei chronischen Entzündungen, wie beispielsweise multiple Sklerose oder Entzündungen des Gehirns durch Viren, deutlich messbare Konzentrationen dieses Cannabinoidrezeptor-Typs gefunden. Auch bei der Alzheimer-Erkrankung finden sich im Gehirn Entzündungszeichen und eine Zunahme des CB2-Rezeptors. Bei solchen Entzündungen werden auch vermehrt körpereigene Cannabinoide, so genannte Endocannabinoide gebildet, und dieser Vorgang wird heute als natürlicher körpereigener Schutzmechanismus vor einer Schädigung von Nerven durch Entzündungen betrachtet.

Sollten eines Tages Cannabinoide zum Einsatz kommen, um den Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu beeinflussen, so werden dies sicherlich nicht Substanzen wie THC oder Cannabis sein, die sowohl den CB1- als auch den CB2-Rezeptor aktivieren, sondern es werden vermutlich Substanzen sein, die spezifisch den CB2-Rezeptor stimulieren, um die mit der Aktivierung des CB1-Rezeptors verbundenen psychischen Wirkungen zu vermeiden.

Franjo Grotenhermen ist Vorstand und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

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